H. G. Möller. Friedrich Dolezalek. Phys. Z. 22(6):161-163, 1921


Friedrich Dolezalek.

Am 10. Dezember 1920 wurde uns nach kaum 14tägiger Krankheit Professor Dr. Friedrich Dolezalek entrissen. Für die Wissenschaft, die noch viel von ihm erwarten durfte, ist er unersetzlich. Für seine Freunde, Schüler und Assistenten, die tief um ihn trauern, bedeutet sein Tod den Verlust nicht nur eines hochbegabten Lehrers, sondern eines Freundes von seltener Herzensgüte.

Friedrich Dolezalek wurde am 5. Februar 1873 in Szigeth in Ungarn geboren. Seine früheste Jugend verlebte er in Göschenen, wo sein Vater den Bau des Gotthardtunnels leitete. Dann besuchte er das Realgymnasium in Hannover, und begann sein Studium auf der dortigen Hochschule. Von den Vorlesungen Runges sprach er mit besonderer Freude.

1895 siedelte er nach Göttingen über, um sich im Nernstschen Institut der physikalischen Chemie zu widmen. Zusammen mit Nernst konstruierte er ein hochempfindliches Quadrantenelektrometer, mit Küster einen elektrischen Ofen, wandte sich dann aber eigentlich physikalisch-chemischen Problemen zu. Er studierte die Dampfspannung homogener Gemische (Doktor-Arbeit) und bearbeitete dann in einer Reihe von Arbeiten die Theorie des Bleiakkumulators. 1901 siedelte er an die Reichsanstalt über. Von hier aus habilitierte er sich an der Technischen Hochschule zu Berlin. Als Habilitationsschrift diente sein bekanntes Buch: Theorie des Bleiakkumulators, das weit über die Grenzen Deutschlands berühmt wurde, wie die französischen und amerikanischen Übersetzungen zeigen. Kohlrausch, der Dolezaleks hervorragende Begabung erkannte, bearbeitete mit ihm zusammen die Löslichkeit des Bromsilbers, das Leitvermögen gesättigter wässeriger Lösungen und andere physiko-chemische Fragen.

Zunächst sollten aber nicht seine physikalisch-chemischen Untersuchungen, sondern seine ersten konstruktiven Arbeiten ihre Früchte tragen. Siemens hatte damals die Pupinpatente erworben und suchte einen theoretisch gut durchgebildeten Physiker mit gutem konstruktivem Geschick, um die auf dem Papier stehenden Pupinschen Ideen in die Praxis umzusetzen. Sie beriefen Dolezalek, der ihnen diese Aufgabe denn auch in kurzer Zeit glänzend löste.

So leicht war allerdings die Sache nicht. Technisch bestand die Schwierigkeit darin, Spulen von genügend geringer Dämpfung herzustellen. Dies erforderte aber zunächst einmal Methoden, diese geringe Dämpfung zu messen. Aber selbst zur Ausarbeitung dieser Meßmethoden waren die Vorbedingungen noch nicht gegeben. Es mußte erst ein Generator für 800periodigen, möglichst sinusförmigen Wechselstrom konstruiert werden. So entstanden: Telephonsummer, Sirene, bifilare Brücke und die Selbstinduktionsnormalien. Nun erst konnte die störende Dämpfung der Spulen studiert werden. Als Ursachen hierfür erkannte Dolezalek die Wirbelströme im Draht, im Eisenkern und die Hysteresisverluste im Eisen. Zur Beseitigung der Wirbelströme im Draht konstruierte er die unterteilten verflochtenen und verdrillten Litzen, die später auch in der drahtlosen Telegraphie allgemein eingeführt wurden. Um Hysteresis und Wirbelströme im Eisen zu vermeiden, wurden Kerne aus Ferrum reductum mit besonderen Bindemitteln gepreßt.

Die Einführung der Pupinspulen, wohl aber noch mehr die Grundlage einer systematischen Untersuchung von Schwachstromapparaten, die Dolezalek schuf, erregten die Aufmerksamkeit Max Wiens, der Dolezalek als außerordentlichen Professor an sein Institut nach Danzig holte. Trotz eines glänzenden Angebotes ließ sich Dolezalek von Siemens nicht halten. Er folgte seinem Idealismus, und nahm die Professur an, die zwar wesentlich schlechter bezahlt wurde, aber seinen Fähigkeiten größeren Spielraum gewährte.

Unterdessen waren seine grundlegenden elektrochemischen Arbeiten bekannt geworden und er sollte nun auch ihre Früchte ernten. 1905 wurde Nernst nach Berlin berufen. Dolezalek, dem begabtesten Schüler Nernsts, wurde das berühmte Göttinger Institut übertragen. In Göttingen arbeitete er mit seinen Mitarbeitern wieder auf elektrochemischem Gebiete: Über heterogene hydrolytische Gleichgewichte, über Flüssigkeitsketten, Blei- und Eisenakkumulator, Ozonpotential, Überspannung und Elektrokapillarität. Aber auch elektrotechnische Arbeiten wurden noch erledigt: Sie betrafen Wirbelstromverluste und die Konstruktion des Binantenelektrometers.

1908 wurde er als Ordinarius für Physik und physikalische Chemie an die Technische Hochschule zu Berlin berufen. Neben einigen elektrotechnischen Arbeiten über Wirbelströme in Litzenspulen und Eisenkernen wandte er sich jetzt voll der Theorie der konzentrierten Lösungen zu. Bereits 1908 erschien seine erste Veröffentlichung über: Binäre Gemische und konzentrierte Lösungen, der Grundstein einer wichtigen neuen Naturerkenntnis und der Anfang von einer langen Reihe weiterer Untersuchungen.

Wie jede wirkich große und fruchtbare neue Idee beruht die Dolekzaleksche Theorie der konzentrierten Lösungen auf einem außerordentlich einfachen Gedanken: Alle Eigenschaften eines binären Gemisches setzen sich additiv zusammen. Und zwar sind die Glieder der Summe den "wahren Molenbrüchen" proportional. Unter dem wahren Molenbruch einer Komponente A ist dabei der Quotient der Zahl der Grammole der Komponente A pro Liter Lösung dividiert durch die Zahl der Grammole sämtlicher anderen Komponenten zu verstehen. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß sich manche Stoffe nach dem Massenwirkungsgesetz zu zweifachen und dreifachen Molekülen assoziieren, und daß sich auch Doppelmoleküle aus verschiedenen Elementen bilden können. Hat man aber die Massenwirkungskonstanten an Hand von einer Eigenschaft, z. B. der Dampfdrucke ermittelt, so kann man auf Grund dieser Kenntnis alle anderen Eigenschaften, wie spezifische Wärme, Kompressibilität, Dielektrizitätskonstante, Wärmeausdehnungskoeffizient usw. in Abhängigkeit von der Konzentration der Lösung berechnen.

Im Kriege war Professor Dolezalek anfangs als Adjutant eines Pionierbataillons im Osten, wurde aber dann zum Ingenieur-Komitee kommandiert. Dort konstruierte er ein Horchgerät für Miniergeräusche, das bereits 1917 im Felde eingeführt wurde.

Kurz vor Kriegsbeginn wurde ihm ein neues Institut für physikalische Chemie und Elektrochemie bewilligt und während des Krieges fertig gebaut. Nur seinem großen persönlichen Geschick und seinen guten Beziehungen zur Industrie, die seine Leistungen noch in dankbarer Erinnerung hatte, gelang es, die maschinelle Ausrüstung zu beschaffen.

Heute nun ist sein neues Institut, auf das er sich durch all die Kriegsjahre gefreut hatte, fertig. "Es ist ein wahrer Staat", schrieb er in seinem letzten Briefe. Und das ist es auch. Kein Stück überflüssig, das Nötige aber in guter Ausführung wohl durchdacht angeordnet. Alte Mitarbeiter hatten sich nach den Wirren der Revolution wieder eingefunden, neue Doktoranden hatten ihre Aufgaben begonnen. Die frische, fröhliche Arbeit hatte so gerade recht eingesetzt, als nach kurzer Krankheit unerwartet der Tod seinem arbeitsreichen, aber auch schönen und erfolgreichen Leben ein Ende setzte.

Aber trotz des frühen Endes war Dolezaleks Leben doch ein ganz besonders reiches. Sonst vermag wohl ein Gelehrter im besten Falle auf einem Gebiete führend zu schaffen. Dolezalek leistete, eine seltene Erscheinung, auf zwei Gebieten, der Elektrotechnik und der Physikalischen Chemie, Pionierarbeit.

Die Verehrung seiner Schüler gilt aber noch mehr als seinem Können seinem Charakter. Frische fröhliche Freude am Schaffen, die jeden seiner Schüler mitriß, Idealismus und unbedingte Sachlichkeit, rückhaltlose Offenheit und die reine Absicht, ohne alle Nebengedanken dem anderen zu helfen, sind seine hervorragendsten Eigenschaften. Persönliche Wünsche neben sachlichen kannte er nicht. Er förderte jede wissenschaftliche Arbeit mit gleichem Interesse, ganz gleichgültig, ob sie sich in seine eigenen Untersuchungen einfügte oder nicht. Er freute sich wirklich von Herzen auch über fremde Erfolge, oft mehr wie über die eigenen, auch dann, wenn ihm selbst dadurch eine Idee vorweggenommen wurde. Er half, gleichgültig, ob es ihm unangenehme Arbeit brachte, mit so herzlicher Anteilnahme, daß man nicht nur einen wohldurchdachten Rat, sondern auch neue Arbeitsfreudigkeit und neues Selbstvertrauen von ihm mitnahm. Und so erwarb er durch seine große echte Herzensgüte die Verehrung und Liebe seiner Assistenten und Schüler, die wir ihm für immer bewahren werden.

H. G. Möller.


Walther Nernst homepage


Revised 2004-07-20